Name für Haus der Kirche gefunden
Die „Lutherin“ Katharina von Bora
gibt dem Haus der Kirche Namen und Gesicht
„Haus der Kirche - Katharina von Bora“ – so wird das Haus in der Marktstraße 7 in Rüsselsheim künftig heißen. Der Vorstand des Gemeindeverbandes und der Kirchenvorstand der Stadtkirchengemeinde haben sich nach mehreren Beratungen einstimmig auf diesen Namen geeinigt. „Haus der Kirche bleibt die Aufgabenbezeichnung für das neue Haus“ – erklärt Pfarrer Thomas Siegenthaler als Vorsitzender des Gemeindeverbandes die Entscheidung. „Mit Katharina von Bora benennen wir ein reformatorisches Gesicht, das die Ausstrahlung des Ortes bestimmen soll.“
„Katharina von Bora ist eine der ersten starken Frauen der Reformation“ – freut sich die Stadtkirchenpfarrerin Annette Mehlhorn „sie zeigt, wie wichtig Frauen für die Verbreitung des Evangeliums und die Freiheit eines Christenmenschen sind.“ Die ehemalige Nonne ist eine Vorreiterin des neuen Freiheitsgeistes, der in der Reformationszeit die Menschen erfasste. Versteckt in einem Heringsfass entfloh sie dem strengen Regelwerk, in das sie seit ihrer Kindheit eingezwängt worden war. Doch Katharina von Bora steht für wesentlich mehr: Von ihrer Herkunft her verweist sie auf einen internationalen Horizont. Unter ihren Vorfahren sind Ungarn, Slaven, Böhmen, Sachsen. Einige von ihnen bereisten schon früh das Heilige Land, andere wurden lange vor der Reformation vom reformatorischen Vorläufer Jan Hus beeinflusst. Katharina selbst war eine für ihre Zeit hoch gebildete Frau. Da sie die lateinische Sprache beherrschte, kannte sie sich in den gelehrten Schriften von der Antike bis zum Mittelalter aus. Als Siechenmeisterin war sie in den Heilkünsten kundig und wusste eine größere Krankenabteilung zu führen. Im Schwarzen Kloster zu Wittenberg, das zum gastlichen Wohnhaus der Familie Luther wurde, leitete sie als Ehefrau des Reformators einen mittleren Großbetrieb. Dazu gehörten Imkerei und Brauerei, ein Wasch- und Badehaus, Obst- und Gemüseanbau, aber auch Viehzucht mit Schweinen, Kälbern, Kühen, Hühnern, Tauben und Gänsen. Das Haus der Luthers versammelte einen großen Hausstand: Neben der Versorgung von Kindern, Familienangehörigen, Personal, Tagelöhnern gab es Bedürftigen Schutz und beherbergte Reisende. Hohe Gäste des Reformators nahmen an der großen Tafel Platz um den berühmten Tischreden Luthers zu lauschen.
Vor seiner selbstbewussten Frau hatte selbst Martin Luther großen Respekt. In allen Fragen der Haushaltsführung überließ er ihr das Regiment. Gelegentlich nannte er sie liebevoll „Herr Käthe“. „Für ein Haus, das sich Gastfreundlichkeit auf die Fahne geschrieben hat, gibt diese Frau genau die richtige Richtung an“ – kommentiert Udo Jeske, stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstands der Stadtkirchengemeinde die Namenswahl. Und Norbert Lemp, stellvertretender Vorsitzende des Gemeindeverbandes, ergänzt: „Mit Katharina von Bora steht dieses Projekt für die ‚Ecclesia semper reformanda‘, also eine wache und lebendige Kirche im Wandel der Zeit“.
Der Namensvorschlag stammt aus der ersten öffentlichen Namensfindung während des Rüsselsheimer Adventsmarktes. Wer ihn eingereicht hat, ist nicht bekannt. „Es gab während dieser letzten Wochen und Monate eine Fülle verschiedener Namensvorschläge“ – verrät die Stadtkirchenpfarrerin. „im Verlauf des Prozesses war immer mal wieder ein anderer unter den Favoriten. Doch letztlich war klar: Das neue Haus soll zunächst ein ‚Haus der Kirche‘ sein und damit das Signal geben: Es vereint Christen und Christinnen im Engagement für ihre Stadt. Erst in den letzten Tagen kristallisierte sich dann der Name Katharina von Bora heraus. Mit ihm wollen wir zeigen, dass wir nicht nur für Aufgabe und Funktion von Kirche stehen, sondern mit dem Haus auch eine Botschaft und ein Gesicht verbinden.“ Und wenn nun die Evangelische Kirche auf das Reformationsjubiläum 2017 zusteuert – freut sich Pfarrer Thomas Siegenthaler – „dann stehen wir in Rüsselsheim an der Spitze der Festgesellschaft.“
Eine Debatte entwickelte sich um die Frage, ob ein reformatorischer Name nicht der angestrebten kulturellen Offenheit für die Rüsselsheimer Bürgerschaft entgegenstehe. „Am Ende waren wir davon überzeugt, dass gerade die Lutherin für die typisch reformatorische Offenheit, das Bekenntnis zu Pluralität und Freiheit, sowie die Verantwortung des Einzelnen für das Gemeinwesen steht“ – erklärt Pfarrerin Mehlhorn. „Unter solch einem Dach haben alle Platz, die sich zu diesen Tugenden bekennen. Dazu braucht man nicht evangelisch sein.“. Gerade die Tatsache, dass Diakonie und Kirche im neuen Haus zusammenfinden eröffne dafür ganz neue Möglichkeiten.