Am 26. und 27. Oktober 2012 fand in Frankfurt die Fortbildung „Geschlechterbewusste Fachkräfte für eine Kultur der Anerkennung, Teil IV“ statt.
Den ausführlichen Einführungsvortrag hielt Frau Brigitta Kress von balancing consult-Vereinbarkeit von Beruf und Familie (näheres zu Frau Kress siehe Wikipedia). Thema desVortrags war: Väter heute – wo stehen sie, wo wollen sie abgeholt werden?
Das Väter für Kinder eine bedeutende Rolle spielen, ist weitgehend unumstritten, jedenfalls wenn es unideologisch und sachlich betrachtet wird. So haben sie eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Affektregulierung, sind oft zuständig für das Erlernen von Regeln und Systemen, geben Kindern Mut und Vertrauen und zeigen Zutrauen in die Fähigkeiten der Kindern. Väter leisten einen nicht unerheblichen Beitrag zur emotionalen Erziehung und als Bestandteil einer Erziehung durch beide Elternteile (Vater/Mutter) entwickeln sich Lernvorteile und höhere IQ-Werte. Für die Kinder ist es außerdem wichtig, dass es nicht vorrangig um ein „Mehr“ geht, sondern um ein „Anders“.
Die wesentlichen Ergebnisse des Vortrags möchte ich im Folgenden als kurze Stichworte nennen:
- 87% der Männer in Deutschland streben eine stabile Paarbeziehung mit Kindern an. Vertrauen und Liebe sind dabei gewünschte Eigenschaften.
- Moderne Männer nähern sich bei Art und Ausmaß des Umgangs mit den Kindern den Werten von Frauen an.
- „Neue Väter“ zeigen ein Rollenverhalten, welches noch nicht klar ist, denn sie haben in der Regel keine Vorbilder. Erst ihre eigenen Söhne werden dieses Vorbild besitzen.
- Für eine heterosexuelle Beziehung bringen neue Väter meist unbewusst eine Stabilisierung der Beziehung.
- Umgekehrt hängt die Qualität der Beziehung eines Vaters zum Kinder sehr oft von der Qualität der Beziehung zur Mutter ab. Da spielen dann auch Grundängste bei Vätern eine wichtige Rolle, müssen sie doch überwiegend davon ausgehen, dass im Fall des Scheiterns einer Beziehung, sie auch Dank „Mutter-Ideologie“ das Kind verlieren werden. Bei nicht wenigen Vätern führt diese Angst dazu, lieber nicht zuviel an Gefühlen zu investieren, weil es sonst noch schwerer wird.
- Die „Familie“ wird für moderne Männer zunehmend Lebensziel und Zentrum ihres Verantwortungsbewusstseins. Der „Familienernährer“ ist in diesem Sinn durchaus positiv zu bewerten. Zugleich aber sinkt der Anteil der Männer, die allein für die finanzielle Absicherung der Familie zuständig sind.
- Was nicht nur aus Sicht der Frauenbewegung gut ist: „Frauenarbeit“ wird immer mehr anerkannt und Partnerschaft findet auf Augenhöhe statt.
- Umgekehrt haben viele Männer nun Angst vor Identitätsverlust, denn oft genug passen „neue Männer“ nicht in traditionelle Vorstellungen und auch nicht in die Erwartungen der Gesellschaft und von vielen Frauen. Das kann dazu führen, dass unsichere Männer diese traditionellen Männlichkeitswerte, die als konservativ angesehen werden können, verstärkt ausleben, z.B. die Abgrenzung zur „Frauenwelt“.
- Nicht vergessen werden darf zudem, dass viele moderne Männer und Väter nach wie vor abgewertet werden, wenn sie von klassischen Geschlechtsrollen abweichen und viele Frauen solche Männer und Väter gar nicht wollen.
- Väterlichkeit wird zunehmend als Teil der Männlichkeit verstanden und Männlichkeit als väterlich. Das war nicht immer so und führt nun aber dazu, dass Väter öfters über Familienarbeit reden und andere Formen der männlichen Fürsorge ausprobiert werden als nur das Ernährer-Modell.
- Was manche Männer nicht so gerne hören und viele Frauen nicht wissen wollen: „Der Mann“ im allgemeinen ist stressanfälliger, weniger flexibel und weniger resilient als „die Frau“ im allgemeinen. Mit den Verunsicherungen im Männerbild, den Angstverlusten und den gesellschaftlichen Anforderungen entstehen durchaus enorme Belastungen, auch bei Vätern. Diese Nachteile des Rollenwandels werden noch lange zu beobachten sein.
- Kinder, die von Geburt an, bzw. schon während der Vorgeburtsphase „neue Väter“ erleben und erfahren, haben die Chance, Beziehungen über Vater und Mutter zu definieren, nicht mehr meist ausschließlich über die Mutter. Es kann eine direkte emotionale Verbindung zwischen Vater und Kind entstehen.
Fazit: Männer- und Väterbilder in unserer Gesellschaft verändern sich trotz der rückwärts gewandten Tendenzen zu klassischen Geschlechterrollen! Für eine moderne Gesellschaft ist diese Entwicklung zu begrüssen, birgt aber Konflikte in sich (Stichworte Multikulturelles, Migration, Patriarchische Strukturen, Mutterbild, u.a.), die anzugehen sind. Männer und Frauen sind gleichermaßen gefragt, offen damit umzugehen – und es bedarf Strukturen, die Männer- und Väterarbeit unterstützen und fördern. Nicht nur die EKHN hat diesbezüglich erheblichen Nachholbedarf.
Jörg Wilhelm, Gemeindepädagoge
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