Würdevolle Bestattung mittelloser Menschen
Würdelos
Als der römische Prokurator Pontius Pilatus an jenem denkwürdigen Freitag vor den Toren Jerusalems Jesus von Nazareth und zwei weitere Gefangene kreuzigen ließ, da sollte mit dieser grausamen Hinrichtung ganz bewusst Würdelosigkeit inszeniert und demonstriert werden. Wer immer glaubte, er habe seine Würde aus sich selbst, oder durch seinen Glauben, dem sollte unmissverständlich klar gemacht werden, dass die römische Besatzungsmacht nur eine Form der Würde kannte, die Gnade der kaiserlichen Autorität, gegründet auf der militärischen Macht und Überlegenheit. Und so wurde mit der Kreuzigung ein Exempel statuiert an einem Menschen, der Würde bis zuletzt als Geschenk Gottes an jeden Menschen empfand und verkündigte.
Doch der Versuch, auch dieser Botschaft mit dem würdelosen Tod ihres Verkünders ein Ende zu machen, scheiterte kläglich. Mag sie in den Jahrhunderten danach und auch heute immer wieder verdeckt, diskreditiert und verdunkelt werden - durchaus auch vom sogenannten christlichen Abendland – totzukriegen ist sie trotzdem nicht.
Als die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedete, da formulierte sie gleich im ersten Paragraphen: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Und in Artikel 5 heißt es: »Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.«
Der Parlamentarische Rat, der ein knappes halbes Jahr später das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschloss, übernahm dieses Ansinnen direkt.
So heißt es auch da in Paragraph 1: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«
Nicht nur Hinrichtungsmethoden wie im Römischen Reich sind deshalb hierzulande ausgeschlossen, die Todesstrafe wurde in der Bundesrepublik generell abgeschafft.
Die Diskussion um einen würdevollen Tod hat und konnte dies nicht beenden, ganz im Gegenteil: Je mehr die Medizin in der Lage war und ist, den Tod hinaus zu zögern, umso stärker wird die öffentliche Diskussion um den würdevollen Tod – geleitet von der Erkenntnis, dass der beste und humanste medizinische Wille nicht verhindern kann, dass er in sein Gegenteil verkehrt wird. Denn an jeder ärztlichen Entscheidung hängen – bewusst oder unbewusst - nicht nur ethische Kriterien, sondern auch juristische und versicherungstechnische Aspekte. Und je mehr in unserer Gesellschaft medizinische Betreuung und Pflege unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verhandelt wird, desto weniger kann sich die ärztliche Entscheidungsfindung auch von finanziellen Kriterien frei machen. Das Schlagwort von der »Geräte-Medizin« ist längst zum allgegenwärtigen Stigma geworden, der immer mehr Menschen versuchen mit einer Patientenverfügung entgegenzuwirken, um damit ein würdevolles Sterben sicher zu stellen.
Weit weniger im Fokus der öffentlichen Diskussion ist die Frage nach der Menschenwürde jenseits des Todes. Von der Totenwürde spricht weder die Deklaration der Menschenrechte, noch das Grundgesetz. Nur im hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetz heißt es in Paragraph 9: »Leichen sind so zu behandeln, einzusargen, zu befördern und zu bestatten, dass … die Würde der Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt werden und die Totenruhe nicht mehr als unumgänglich gestört wird.«
Die Realität sieht leider immer öfter anders aus: Die demographische Entwicklung hierzulande sorgt nicht nur dafür, dass es immer mehr alte Menschen ohne weitere Angehörige gibt, sondern auch, dass deren Ersparnisse und Vermögenswerte durch eine langjährige Pflege vollkommen aufgebraucht sind. Gleichzeitig steigen an allen Orten die Bestattungskosten – eine Schere, die zu schließen immer weniger Menschen in der Lage sind. Zwar ist gesetzlich geregelt, dass die Sozialbehörden in solchen Fällen für eine ortsübliche Bestattung aufzukommen haben, aber angesichts leerer öffentlicher Kassen ist die Versuchung groß, die sterblichen Überreste so schnell und kosten-günstig wie irgend möglich unter die Erde zu bringen – und das heißt immer wieder auch ohne Trauerfeier.
Die Zwei-, bzw. Drei-Klassen-Beerdigung ist längst Realität. Wer es sich immer noch leisten kann, dem steht die Erdbestattung offen, die große Mehrheit steuert gleich auf eine Urnenbestattung in einem Erdgrab oder der Urnenwand zu. Und für den Rest bleibt das Armengrab. Aus Frankfurt berichten Bestatter vom sogenannten »Thüringen Express«: Mit einem LKW werden einmal pro Woche all jene Verstorbenen ins Nachbar-bundesland verfrachtet und dort bestattet, die sich eine Beisetzung in der Mainmetropole nicht mehr leisten können.
»Leichen sind so … zu bestatten, dass … die Würde der Verstorbenen … nicht verletzt … wird.«???
Papier ist bekanntlich geduldig, Verstorbene sind es notgedrungen auch. Und mittellose Angehörige müssen deshalb nicht nur unter dem Verlust des Menschen, sondern auch seiner und ihrer Würde leiden.
Wie anders ging es da doch an jenem Freitag in Jerusalem zu: Da holte ein Ratsmitglied den so würdelos Verstorbenen noch am selben Tag vom Kreuz, um ihn wenigstens würdevoll in der eigenen Familiengrabstätte zu bestatten. Das Beispiel hat leider wenig Schule gemacht.
Pfr. Klaus Bastian, Bischofsheim
Nach vorne leben
Gedanken zur Jahreslosung 2013
Von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung
„Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebräerbrief 13,14)
Auf dem Gehweg stapeln sich die Umzugskartons. Gleich muss der Möbeltransporter kommen. Dann geht es ab in eine fremde Stadt. Die neue Arbeit wartet dort schon. Nicht nur Hemden, Möbel und Teller machen sich auf den Weg. Im Gepäck sind auch eine Portion Spannung und ein Stück Ungewissheit. Zurück bleiben Freunde und Bekannte. Und für die Verwandtschaft ist es Zeit, sich neue Adressen und Telefonnummern einzuprägen. Die Welt ist in Bewegung.
„Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Das ist die biblische Jahreslosung für das Jahr 2013. Sie zeigt: Schon immer war das Leben in Bewegung. Die Bibel ist voll von Beispielen. Abraham und Moses verlassen ihr Zuhause und suchen für sich und ihre Familien eine neue Zukunft. Auch Jesus ist ein festes Zuhause eher fremd. Er ist auf Wanderschaft.
Gleichzeitig verbinden sich mit dem Vers der Jahreslosung jene mulmigen Gefühle und Gedanken, die oft zu Aufbrüchen gehören. Warum kann es nicht so bleiben, wie es ist? Es ist eine menschliche Erfahrung, dass die Bewegung auch Unsicherheit mit sich bringt. Es schmerzt, Gewohntes aufzugeben. Es ist schwer, etwas loszulassen. Es bleibt gleichzeitig offen, was auf mich wartet. Und vielleicht ist das Ziel noch nicht einmal klar. Wenn alles im Fluss ist, brauche ich Dinge, die feststehen. Wenn alle in Bewegung sind, brauche ich einen Ort, an dem ich bleiben kann.
Die Jahreslosung ermutigt, das Leben nach vorne zu leben – auf Hoffnung hin: Neues wagen – im eigenen Leben, im Zusammenleben mit anderen, in der Kirche, in unserer Gesellschaft. Neues wagen, weil Gott Zukunft schenkt. Das gilt auch dort, wo wir keine Zukunft mehr sehen. Oft werden die Worte der Jahreslosung bei einer Beerdigung gesprochen. Sie drücken aus, dass Gott eine Zukunft verheißen hat – auch über den Tod hinaus. Das ist Hoffnung für die Toten und für die Lebenden.
Nach christlichem Verständnis kommt Zukunft von Gott her. Wir gehen ihr entgegen. Und das große Hoffnungsbild der Zukunft, die von Gott her kommt, ist eine neue Welt. In ihr werden Tränen getrocknet. In ihr sind Schuld und Gewalt überwunden. In ihr kommen Schmerzen nicht mehr vor. Und in ihr hat sogar der Tod ausgedient. Dieses Hoffnungsbild gibt Kraft – mitten in den Aufbrüchen, die das Leben von uns fordert.
Eines unserer neueren Kirchenlieder fasst dies in die Worte: „Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt! Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.“
Warum evangelische Freiheit einer Gesellschaft gut tut
Die Reformation Martin Luthers hat nicht nur die Kirchengeschichte geprägt, sondern die Entwicklung der gesamten Gesellschaft maßgeblich beeinflusst. Zudem sei sie Wegbereiter der Aufklärung gewesen, so Präses Nikolaus Schneider beim Festakt zum Reformationstag in der Lutherkirche Wiesbaden. Schneider ist als Vorsitzender des Rates der EKD höchster Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland. In seiner Rede mit dem Titel „Die Kraft des Zweifels. Warum evangelische Freiheit einer Gesellschaft gut tut“ bezeichnete er die theologische Bedeutung des Zweifels bei aller Glaubensgewissheit als Teil der evangelischen Gedankenfreiheit. Gleichzeitig hob er die Bedeutung „des Geistes der Freiheit und die Kraft des Zweifels“ als belebendes Element gegen alle Verkrustungen aller Lebensbereiche – auch die der nichtkirchlichen - in der Gesellschaft hervor.
Die „Bindung an Gottes Wort“ befreie Menschen von „Selbstzwängen und von Sachzwängen“ sagte Schneider in der hessischen Landeshauptstadt. Menschen könnten in einer solchen Bindung „ihr menschliches Maß“ annehmen. Dazu gehöre „die Begrenztheit, die Zeitbedingtheit und die Vergänglichkeit alles Irdischen - im persönlichen Leben wie auch in allen Ordnungen und Strukturen, die Fehlbarkeit des menschlichen Denkens, Planens, Entscheidens und Handelns – auch bei den Mächtigen dieser Welt und auch bei kirchenleitenden Menschen und Gremien“, aber auch „die Fähigkeit des Menschen zum Fragen und Zweifeln, zur Umkehr, zu Veränderung und Neuanfang.“
Schneider erinnerte an Martin Luther: Dem Reformator sei es darum gegangen, „dass Christenmenschen vor Gott ihre Höllenangst verlieren und vor Gott und Menschen ihre Glaubensfreiheit entdecken. Und dass sie in dieser Freiheit ihre Verantwortung vor Gott und für die Welt und ihre Mitmenschen wahrnehmen“. Teil dieser evangelischen Freiheit und Verantwortung sei die „Absage an blinden Gehorsam und der Mut zu konkretem Zweifel“ in allen Lebensbereichen.
Die Theologie, so Schneider weiter, könne konkrete Fragen und konkrete Zweifel des menschlichen Verstandes nicht vorschnell als „Geheimnis des Glaubens abwürgen“. Zwar gelte, dass „Gott und der Glaube an Gott größer und mehr“ seien als menschlicher Verstand und menschliche Logik es fassen und begründen können, aber konkrete Zweifel an überlieferten Glaubenswahrheiten und das individuelle, ganz persönliche „Verstehen-Wollen“ von Gottes Wort und Gottes Offenbarungen dürften „um der Redlichkeit wissenschaftlicher Arbeit und auch um Gottes willen“ nicht verteufelt werden.“ Der Verzicht auf kritisches Denken und zweifelndes Fragen, so Schneider, führe letztendlich zu einem „toten Buchstabenglauben und zu einer naiven und lebensfremden Sektiererei.“ Aber „die Freiheit zum Zweifel“ halte den Glauben „lebendig“, öffne dem theologischen Lehren und Lernen „neue Horizonte“ und verhindere so, dass die Kirche das „verpflichtende Erbe Martin Luthers“ vergesse, das da laute: „ecclesia reformata semper reformanda est“ (Frei übersetzt: Die Reform der Kirche darf nie enden.).
Neben der theologischen Bedeutung hob Schneider in seiner Rede auch die Auswirkungen der Reformation für die gesamte Gesellschaft hervor. „Die Reformation ist nicht auf die Kirchengeschichte beschränkt gewesen. Vielmehr war der Gedanke der Freiheit eines jeden Christenmenschen mitentscheidend für den demokratischen Weg unserer Gesellschaft.“ Rückblickend sei zu erkennen, so der Präses, dass die Forderung der Aufklärung nach dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ als eine „Entfaltung der reformatorischen Einsicht in die Unvertretbarkeit jeder Person“ verstanden werden könne, auch wenn dies in der Aufklärung zumeist ohne die Rückbindung an Gott propagiert wurde. Das reformatorische Freiheitsverständnis habe so weit über Kirche und Christentum hinaus in die Gesellschaft hineingewirkt. „Die im Glauben begründete unmittelbare Stellung einer Person vor Gott schließt nach reformatorischem Verständnis aus, dass politische Institutionen Zugriff auf den Glauben der Einzelnen haben.“
Mit diesem Grundsatz sei die Basis für die moderne Religions- und Gewissensfreiheit gelegt worden. Gerade aber im Hinblick auf die „tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft in Richtung multikultureller und multireligiöser Verhältnisse und auf unsere aktuelle Debatte mit dem Islam“ sei es unverzichtbar, diesen Grundsatz für unsere heutigen Bedingungen konkret zu entfalten. Schneider: „Gesellschaftliche Strukturen, wirtschaftliches Handeln, Rechtsauffassungen, Wissenschaftskonzepte, Kultur, Kunst und Moralvorstellungen wurden und werden von dem Freiheitsverständnis der Reformation geprägt. Die Befreiung aus ,klerikaler Bevormundung‘ durch Luther und die Reformation ermutigte und ermutigt bis heute Christenmenschen, den Geist der Freiheit und die Kraft des Zweifels auch in nichtkirchlichen Lebensbereichen ,wehen‘ zu lassen. Das, so Schneider abschließend, bewahre eine Gesellschaft vor „Verkrustungen“ und tue ihr gut.
EKHN, bearbeitet von Erich Kupfer