"Flüchtlinge"
Flüchtlinge – dieses Stichwort taucht in den letzten Monaten ständig in den Medien und politischen Debatten auf. Ich freue mich sehr über die Offenheit und die Bereitschaft zur Unterstützung der Asylsuchenden, die ich dabei vor Ort oft antreffen darf.
Unumstritten ist diese „humanitäre Hilfe“ jedoch nicht. Das große Argument jener, welche die Hilfe für Flüchtlinge ablehnen, ist dies, dass die Aufnahme und Unterstützung von Asylsuchenden ein Fass ohne Boden sei. Ich stimme nicht mit ihnen überein, dass dies ein Grund ist, die Hilfe für Betroffene abzulehnen. Aber ich stimme dem völlig zu, dass eine grenzenlose Aufnahme von Migranten keine Lösung des Problems ist.
Als Alternative wird von Politikern der EU und dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik eine Politik betrieben, welche den Zaun um die EU erhöhen soll. Die Grenzkontrollen am Rande der EU werden immer weiter verschärft, ins Mittelmeer werden seit Jahren Marine-Boote geschickt mit dem Auftrag, möglichst Flüchtlinge abzufangen und zurückzuschicken.
Diese Politik erreicht zurzeit einen neuen Höhepunkt: nach den Plänen des EU-Kommissars für Migration, Dimitris Avramopoulos sollen die Diktatoren von Staaten wie Eritrea unterstützt werden, gegen die Fluchthelfer oder „Schlepper“ vorzugehen. Die Zusammenarbeit mit den Regimen afrikanischer Staaten, deren Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen und Folter flieht, soll damit nochmals verstärkt werden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik ist offenbar eifrig mit dabei.
Diese Politik geht an der Not der Menschen völlig vorbei. Im Gegenteil: sie erhöht den Druck in den totalitären Staaten Afrikas und erhöht das Risiko jener Menschen, die ihr Leben für eine Chance auf Zukunft aufs Spiel setzen. Sie macht das Leben der Betroffen nochmals unmenschlicher. Politisch entscheidend ist jedoch, dass beides lediglich Symptombekämpfung ist: sowohl das Bemühen, die Flüchtlingsströme zu mindern – mit mehr als fragwürdigen Mitteln – als auch die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Europa. Nach Auskunft des UN-Flüchtlingshilfswerkes leben weltweit derzeit 59,5 Millionen Menschen außerhalb ihres Heimatlandes. 35 Millionen davon kommen aus Afrika. Sowohl das Bemühen, die Grenzen Europas zu schließen als auch die unhinterfragte Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika geht an der Wirklichkeit vorbei, dass die dortige Bevölkerung wächst und die Flüchtlings-Ströme insbesondere aus den totalitären Staaten dieses Kontinents steigen, weil dort die Lebensbedingungen unmenschlich sind und bleiben, falls auch von uns nichts dagegen unternommen wird. Flüchtlingen ist am meisten gedient, wenn der Grund ihrer Flucht beseitigt wird.
Es ist überfällig, die Ursachen der Flucht auf der politischen Ebene in und mit den Heimatländern der Asylsuchenden anzugehen. In Staaten wie Eritrea, Äthiopien, Somalia, dem Sudan und Süd-Sudan, der Zentralafrikanische Republik, dem Kongo oder dem Tschad herrschen skrupellose Gewaltherrscher. Diese werden auch von den Staaten der EU unterstützt – aus wirtschaftlichem Eigennutz. Die einzelnen Staaten der EU lassen sich dabei noch von den Diktatoren gegenseitig ausspielen. Hier muss auf EU-Ebene eine gemeinsame Linie gefunden werden. Diese Linie muss sich leiten lassen von dem Bemühen um das Wohl der leidenden Bevölkerung. Gründlich zu überarbeiten sind auch die Handelbeziehungen zu afrikanischen Staaten, insbesondere im Bereich der Rohstoffe, der Agrargüter oder der Textilien.
An dieser Stelle bleibt mir die seit Jahrzehnten währende Politik, die von uns gewählte Politiker betreiben, ein Rätsel. Sie ist völlig entgegengesetzt den von uns so hochgehaltenen Wertvorstellungen von Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Solidarität. Und sie ist völlig entgegengesetzt einem friedlichen Miteinander. Die Flüchtlingsströme sind ein Verweis darauf.
Eine gesegnete Sommerzeit wünscht Ihnen
Ihr Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim
Brot und Spiele
Der römische Satirendichter Juvenal hat im 1. Jahrhundert das Wort „Brot und Zirkusspiele“ verwendet, als er das römische Volk entmachtet sah. Bis heute sind diese Worte in Umlauf und bezeichnen auf markante Weise das Verhältnis der Menschen zur Macht. Bei der Berichterstattung über große Sportereignisse wird immer wieder aufs Neue die Frage gestellt, ob dadurch nicht wichtige gesellschaftliche und politische Fragen verdeckt werden.
Juvenal hatte aber schon damals nicht nur die Mächtigen im Blick, die das Volk durch schöne „Geschenke“ betörte, sondern auch die Gesellschaft, die sich durch Belanglosigkeiten betören ließ.
Bestechung war schon damals an der Tagesordnung – mit Wahlversprechen, mit Geschenken, mit Massenunterhaltungsveranstaltun gen. Wagenrennen haben damals sicher weder Kosten noch Gewinne in heutigem Maß verursacht, aber sie haben sich auf jeden Fall genauso bezahlt gemacht. Das war immer gut investiertes Geld.
Eine Erzieherin, die ich kannte, hat bei große Tennis-Ereignissen dann vom „Bällchen-Klopfen“ gesprochen, andere reden bei großen Autorennen davon, dass wieder ein paar Verrückte im Kreis herum rasen, beim Boxen wird von „Olympischer Schlägerei“ geredet und der niederbayerische Musiker Fredl Fesl hat sich in seinem Fußball-Lied 1978 darüber lustig gemacht, dass 44 Fußballbeine hin und her rasen und dafür bezahlt werden.
Tatsächlich hat die Neigung, sich vor den wichtigen Ereignissen gerne ablenken zu lassen, nicht abgenommen. Nur die Möglichkeiten der Ablenkung sind inzwischen viel größer geworden. Allein die Auswahl und die Menge der Meldungen steuern doch, was uns beschäftigt. Neben der Berichterstattung über Griechenland können sich viele Meldungen überhaupt nicht mehr behaupten. Wissen Sie, was aktuell in der Ukraine passiert? Welche Ziele verfolgt Wladimir Putin?
Wie sieht es gerade in Syrien aus oder in Äthiopien? Was geschieht gerade in der Flüchtlingspolitik? Inzwischen stellt sich für mich die Frage: Was bleibt verborgen hinter den aktuellen Meldungen? Was erfahre ich nicht, obwohl es genauso wichtig ist, wie andere Meldungen?
Ich kann überhaupt nicht mehr alles erfassen, was wichtig ist – geschweige denn, dass ich es wirklich verstehen könnte. Wenn ich mir heute eine Meinung bilde, wird sie am nächsten Tag durch den nächsten Experten-Kommentar erschüttert. Und die Experten werden immer qualifizierter. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass auch das nicht zur Lösung der Probleme beiträgt. Auf jeden Fall aber trägt es zur Dramatisierung der Probleme bei. Und Meldungen mit hysterischen Überschriften können diese dramatische Stimmung noch steigern. Aber, hat Hysterie schon jemals zur Lösung von Schwierigkeiten beigetragen? Sie ist überhaupt nicht dazu in der Lage!
Aus den ganz persönlichen Erfahrungen kennen viele Menschen, dass es helfen kann, erst mal eine Nacht darüber zu schlafen, um dann neue Gedanken fassen zu können. Wer nicht mehr so aufgewühlt ist, wird bessere Entscheidungen treffen können. Auch menschliche Krisen erfordern Besonnenheit und nicht Hysterie.
Die Art und Weise, wie wir Menschen mit großen Konflikten umgehen, deuten aber eher darauf hin, dass wir diese kleinen Weisheiten nicht auf die Weltpolitik übertragen wollen. Viele Schwierigkeiten sind lange sichtbar bevor sie zu großen Problemen werden. Die Welt schweigt lieber so lange es geht, um dann plötzlich und hektisch zu handeln. Ja, wir lassen uns gerne von den wirklich wichtigen Ereignissen ablenken – nicht nur durch „Spiele“. Ich habe grundsätzlich auch gar nichts dagegen, wenn wir diese Ablenkungen nicht dazu nutzen, die Augen zu verschließen, sondern um uns danach wieder mit neuer Kraft und neuen Gedanken in Ruhe den anstehenden Problemen zu widmen.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – aber auch nicht von Spielen – wir Menschen sind soziale Wesen, wir leben von lebendigen Beziehungen. Dazu brauchen wir auch ruhige Zeiten. Vielleicht sogar mal eine Woche Urlaub ohne Nachrichten, um danach wieder neu starten zu können.
Genießen Sie die Zeit des Urlaubs, leben sie voller Freude, sammeln sie Ruhe und Kraft und kehren Sie voller Tatendrang gesund zurück.
Herzliche Grüße, Klaus Gottschlich
Kann man Gott lästern?
Nach dem Mordanschlag auf Charlie Hebdo in Paris hatte es eine Welle der Sympathie mit den Opfern und mit der Zeitschrift gegeben. Dies lag sicher auch daran, dass der Gegenpart, die feigen Mörder mit ihrem verbrecherischem Verhalten keiner Sympathie würdig sind.
Kompletter Text als Download... (16,48 KB)
Karfreitagsgedanken
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann würden sich die Verantwortlichen vermutlich nicht die Mühe eines Schauprozesses machen: Ein bezahlter Killer, der die Sache nachts auf einer Brücke erledigt und am Ende werden der Öffentlichkeit vermeintliche Terroristen aus einer Randgegend des Landes als Täter präsentiert.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würdee – nein, nicht gekreuzigt, erschossen von irgendeinem Cop, dem Kleidung, Haartracht und Hautfarbe verdächtig vorkam und das Opfer der Aufforderung, sich mit gespreizten Armen und Beinen auf den Boden zu werfen, nicht schnell genug nachkam.
Oder von rechten Terrorzellen – einfach so, auf offener Straße – immerhin war er Jude. Und der Verfassungsschutz hätte zugeschaut.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann hätten die Täter die grausame Prozedur gefilmt und sich damit im Internet gebrüstet.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann würden Kamerateams aus der halben Welt ihre Wagenburg um die Hinrichtungsstelle bauen, Helikopter über Golgatha schweben, die Teleobjektive auf die Gesichter der Frauen unterm Kreuz fokussiert, damit der Weltöffentlichkeit auch ja keine Träne verlorengeht. Noch heute Abend würde sein Elternhaus in Nazareth ebenso belagert, wie sein Wohnhaus in Capernaum, oder die Grabstätte. Zuschauer, Nachbarinnen, Jünger und Jüngerinnen würden vor die Kamera gezerrt, um ihnen irgendwelche persönlichen – möglichst skandalträchtige - Details zu entlocken für den ganzseitigen Aufmacher.
Und irgendjemand hätte geredet, hätte irgendetwas erzählt, auch wenn er ihn gar nicht kannte, nur damit er oder sie ins Fernsehen kommt oder auf die Titelseite.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann bräuchte es gar kein Gerichtsverfahren, das Urteil würden die Medien übernehmen. Die sind schneller als jede Staatsanwaltschaft!
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann nicht auf Holz, sondern auf Papier oder auf Facebook.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann würden die politisch Verantwortlichen aus allen Ländern und allen Parteien ihre tiefe Bestürzung und ihren Abscheu zum Ausdruck bringen und versichern, dass ihre Gedanken bei den Angehörigen und Freunden sind. In eigens anberaumten Fragestunden würde vor kleinster parlamentarischer Kulisse heftigst darüber diskutiert, wie man Kinder alleinerziehender Mütter besser integrieren könne. Die Opposition würde der Regierung schwerste Versäumnisse vorwerfen und die ihrerseits auf ihre gesteigerten Bildungsausgaben verweisen. Das eine oder andere Gesetz würde verschärft, um die Bevölkerung zu beruhigen, aber wirklich verstanden hätte man nichts.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann ließe sich Judas nicht mit 30 Silberlingen abspeisen. Als Experte und intimer Kenner der Szene würde er durch sämtliche Talkshows gereicht.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann wären schon morgen die ersten T-Shirts auf dem Markt und Rechtsanwälte damit beschäftigt, Petrus die Rechte am boomenden Merchandising zu sichern.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – dann hätte man nicht zugelassen, dass sein Grab zur Pilgerstätte wird. Man hätte die Leiche irgendwo verscharrt, oder über dem offenen Meer aus einem Helikopter geworfen.
Wenn Jesus heute gekreuzigt würde – das Schlimme ist: Er wird gekreuzigt, Tag für Tag, er heißt nur anders!
Pfr. Klaus Bastian, Bischofsheim
Deutschland ist Einwanderungsland
Deutschland ist Einwanderungsland. Dies wurde uns von der OECD dieser Tage eindrücklich belegt. Da zugleich mitgeteilt wird, dass das Ausbildungsniveau der Einwanderer und deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ebenfalls steigen, dürften wir zufrieden sein mit dieser Nachricht.
Kompletter Text als Download... (13,68 KB)
Geht's Ihnen gut?
Das gute Wetter der vergangenen Tage hat vielen Menschen einen richtigen Aufschwung geschenkt. Viele Menschen waren draußen, am Opelzoo gab es am vergangenen Wochenende keine freien Parkplätze mehr.
Kompletter Text als Download... (14,22 KB)
Fair geht anders
Noch bis zum morgigen Freitag geht die diesjährige »Faire Woche« - ein bundesweiter Aktionszeitraum rund um das Thema Fairer Handel. Mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen wird über die Alternative zum ruinösen Weltmarkt informiert, um so den Fairen Handel in Deutschland noch stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Dabei verzeichnen die Fair Handelsgesellschaften gerade in den letzten Jahren enorme Zuwächse. Und das könnte durchaus damit zusammen hängen, dass die Problematik von Dumpingpreisen und Dumpinglöhnen auch bei uns angekommen ist: Die Zahl der sogenannten »Aufstocker«, Menschen also, die von ihrem Verdienst nicht mehr leben können und deshalb vom Staat alimentiert werden müssen, nimmt ständig zu. Nach jahrelanger Debatte wurde ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt, während immer mehr Milchbauern ihre Betriebe wegen zu niedriger Erzeugerpreise schließen müssen.
Trotz der großen Zuwachsraten der letzten Jahre aber ist der Marktanteil fair gehandelter Produkte am Weltmarkt gering. Noch immer funktioniert das unfaire »Spiel« eines gnadenlosen Preiskampfes auf dem Rücken der Erzeuger. »Fair Play« ist im internationalen Wettbewerb nach wie vor ein Fremdwort – im Gegenteil: Wo im Sport schon längst so manchem Akteur die Rote Karte gezeigt worden wäre, da werden die »Player« der Wirtschaft immer dreister.
Jüngstes Beispiel: Der Energiekonzern RWE fordert vom Land Hessen 235 Millionen Euro wegen der Stilllegungsverfügungen der beiden Atomkraftwerke in Biblis. Man müsse die Vermögensinteressen des Unternehmens und seiner Aktionäre wahren, so der Konzern in seiner Begründung. Man kann nur hoffen, dass das Gericht auch die »Vermögensinteressen« des Landes und damit der Steuerzahler berücksichtigt. Denn natürlich hat RWE in seiner Begründung nicht erwähnt, dass jede in Biblis produzierte Kilowattstunde nach Berechnungen von Greenpeace vom Staat mit 4,3 Cent direkt subventioniert wurde. Und das sind bei einer Produktion von 504 Terrawattstunden der beiden Blöcke 21.672.000 Millionen Euro, also mehr als das Hundertfache der Summe, um die RWE jetzt vor Gericht streiten will. Und da sind die indirekten Subventionen noch gar nicht eingerechnet!
»Sie müssten sich schämen wegen ihres schändlichen Treibens.
Aber sie denken nicht daran;
sie wissen gar nicht, was Schämen ist.« (Jeremia 6,15)
Noch dichter vor unserer Haustür als Biblis liegt Bauschheim, wo im kommenden Sommer der Real-Markt schließen wird und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze verlieren. Nach derzeitigem Stand lehnt der künftige Betreiber Globus nämlich ihre Übernahme ab. Der Grund: Der Haustarifvertrag von Globus sieht deutlich niedrigere Löhne vor, als der von Real.
Verdrängungswettbewerb auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Erzeugerinnen und Erzeuger, Abzocke im Verhältnis zu Staat und Gesellschaft, das sind die groben, aber eben ungeahndeten Fouls, eines Systems, das Papst Franziskus im Sommer zu Recht als »unerträglich« bezeichnete.
Und solche Fouls haben Methode, wie die durchgesickerten Dokumente des unter größter Geheimhaltung in Brüssel verhandelte Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) zeigen: Internationalen Konzernen soll darin ein Sonderrecht zugestanden werden, von dem einfache Bürger, lokale Unternehmen und Vereine nur träumen können. Sie können EU-Staaten vor privaten Schiedsgerichten verklagen, sobald sie durch Umwelt- oder Sozialstandards ihre Gewinne geschmälert sehen. In den Schiedsverfahren stellen kommerzielle Anwaltskanzleien Kläger, Verteidiger und Richter. Eine Berufung ist ausgeschlossen. »Ich weiß sehr genau, wenn Tübingen irgendwann einmal vor einem internationalen Schiedsgericht steht, dass ich keine Chance habe, das irgendwie zu kontern und dass wir nur dann mitspielen können, wenn wir uns millionenteure Anwälte aus München, New York oder Paris leisten«, so der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. »Kein Gemeinderat kann mehr vernünftige Entscheidungen treffen, wenn man damit rechnen muss, dass man vor solchen Gerichten landet.«
Kritiker befürchten, dass das die Zahlungsunfähigkeit von Kommunen durchaus einkalkuliert sein könnte, um dann Wasserwerke und andere kommunale Dienste billig einkaufen und daraus weitere Gewinne generieren zu können.
»Das Wirtschaftssystem sollte im Dienst des Menschen stehen. Aber wir haben das Geld in den Mittelpunkt gerückt, das Geld als Gott«, beklagte der Papst in seinem Interview und er bewegt sich damit ganz auf der Linie biblischer Kritik:
»Weh denen, die sich ein Haus nach dem andern hinstellen
und ein Feld nach dem andern kaufen,
bis kein Grundstück mehr übrig ist
und sie das ganze Land besitzen!« (Jesaja 5,8)
Pfr. Klaus Bastian, Bischofsheim
Spionage-Software
Liebe Leserinnen und Leser,
als ich die Tage telefonierte, knarrte es in der Verbindung und meine Gesprächspartnerin meinte lapidar: „Wir haben wieder die NSA in der Leitung.“ Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 6. August erinnert daran, dass auch wir Deutschen das Abhören gut können. Die in München ansässige Software-Firma Finfisher GmbH gehört zu den Weltmarktführern unter den Spionage-Software-Herstellern. Die Trojaner-Software von Finfisher kann fast alle gängigen Antiviren-Programme umgehen. Mit ihr können Computer, Handys, Tablets usw. geortet, ausgespäht und manipuliert werden. Es gibt auch die Version, welche z.B. über einen präparierten USB-Stick die Software des Gerätes infiziert.
Die Firma Finfisher verkauft, so zeigen nun aufgetauchte Belege, welche offenbar durch einen Hacker zugänglich wurden, weltweit ihre Produkte. Bereits im Mai dieses Jahres ging Finfisher durch die Presse. Sie soll ihre Software auch an politisch bedenkliche Länder wie Ägypten und Bahrein geliefert haben. Inzwischen sind auf europäischer Ebene gemeinsame Regelungen angekündigt. Auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel versprach strengere gesetzliche Vorgaben in Deutschland. Erst seit 2012 ist der Verkauf solcher Trojaner-Software an Syrien und Iran verboten. Der Verkauf an Russland oder Malysia wurde bisher durch sogenannte „Hermes-Absicherungen“ durch die Bundesregierung unterstützt. Die Haltung der Regierung zu dieser Branche ist wohl zwiespältig. Immerhin steht unser Staat selbst auf der Kundenliste von Finfisher – freilich zur Abwehr von Kriminalität und Terrorismus.
Die Entwicklung geht immer weiter dorthin, dass das Internet ein „Kriegsfeld“ wird. Die Zerstörungen, die vor wenigen Jahren in iranischen Atomforschungsanlagen durch die Manipulation von Software angerichtet wurde, sind ein konkretes, öffentlich bekanntgewordenes Beispiel dafür, dass und wie auf diesem Feld bereits gekämpft wird. Regierungen in Staaten wie China oder Bahrein setzen Spionage-Software auch dafür ein, ihre eigenen oppositionellen Bürgerinnen und Bürger auszuspähen.
Solche Software, wie sie von Finfisher hergestellt wird, ist eine gefährliche Waffe auf dem Kriegsfeld Internet und digitale Bereiche. Sie kann in verheerender Weise gebraucht und missbraucht werden. Ihre Herstellung und Verbreitung birgt mindestens genau solche Gefahren, wie die Herstellung und Verbreitung von Gewehren, Minen oder Panzern. Während es bei uns jedoch bezüglich der konventionellen Waffen – wenn auch umstrittene, aber immerhin – gesetzliche Regelungen gibt, fehlen sie im Bereich von Software weitgehend. Und bei allen gesetzlichen Verkaufsbeschränkungen: jeder weiß, dass - egal welche - Waffen über Mittelsmänner und Drittländer letztlich genau dort landen, wo sie nicht hin sollten.
Was passiert, wenn solche Software in die Hand von Extremisten fällt? Empfindliche Angriffspunkte wie Kraftwerke oder Transport- und Verkehrsnetze gibt es allemal. Ein wirksamer Schutz ist wohl nur erreichbar, wenn Regelungen getroffen werden, welche die Entwicklung, Herstellung, den Vertrieb, den Besitz und den Gebrauch solcher Software weitestgehend unterbindet.
Auch wenn unsere US-amerikanischen Freunde damit anders umgehen, wie sie überhaupt mit Waffen anders umgehen, sollten wir uns in Europa gerade hier an die Maßstäbe unserer eigenen Tradition halten. Und besonders unsere christliche Tradition zeigt uns unmissverständlich auf, dass nicht den Schnellsten, Stärksten und Brutalsten in die Hände gespielt werden darf.
Eine gesegnete Rest-Ferien-Zeit wünscht Ihnen
Ihr Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim
Fair-Trade?
In der vergangenen Woche bin ich im Internet über die Überschrift einer Meldung gestolpert, die mich aufmerken ließ. Mit ein paar Worten wurde die Arbeit vieler Menschen verunglimpft, die sich ernsthaft für einen fairen Handel auf diesem Planeten einsetzen.
Diejenigen, die nach der Überschrift auch den Artikel selbst lasen, konnten feststellen, dass die Überschrift deutlich überzogen war. Die Schlagzeile lautete: „Fairtrade lässt Hilfsarbeiter im Stich.“ Erst danach wird erkennbar, dass die Studie nur in den Ländern Äthiopien und Uganda durchgeführt wurde. Und Zeilen später wird es noch etwas konkreter, nämlich, dass die Untersuchung sich ausschließlich auf die Hilfsarbeiter des Systems erstreckte und nicht auf die schätzungsweise 1,2 Millionen Fairtrade-Bauern. Inzwischen haben sich auch Fairtrade Großbritannien und Fairtrade Deutschland zu den Vorwürfen geäußert und auf Fehler in der Studie hingewiesen.
Dass solche Studien schnell falsch interpretiert werden und nicht unbedingt alles berücksichtigen können, was zu sinnvollen Schlussfolgerungen führt, ist allen klar. Insofern hat mich die Überschrift zwar geärgert, weil sie nicht mit meiner persönlichen Einschätzung übereinstimmt und sie meines Erachtens eventuell bestehende Missstände verallgemeinert, aber sie hat mich nicht verwundert.
Viel stärker beunruhigt hat mich, welche Wirkung die Überschrift alleine schon auf die Leser hatte. Wenn man die Kommentare durchliest, die zu dem Artikel abgedruckt sind, wird deutlich, dass viele Kommentatoren haben den Artikel offensichtlich nicht ganz gelesen haben und sich trotzdem außerordentlich verächtlich äußern. Sie treiben die Verallgemeinerung auf die Spitze mit wilden Spekulationen darüber, wer sich alles bereichert haben könnte – dass sowieso nur alles Schwindel sei – dass die „Weltverbesserei“ sowieso nur für das eigene Gewissen gut wäre und nicht für die Menschen …
Bei den Kommentaren schien es vielfach weder um den Artikel noch um die Studie zu gehen, sondern nur darum, sich negativ über eine Sache zu äußern. Angestachelt von einer scharfen Überschrift lassen sich Menschen dazu verleiten, über andere herzufallen. Dabei spielt es keine Rolle, ob nur gängige Vorurteile wiederholt werden oder ob sich der Kritiker überhaupt mit der Materie auskennt, zu der er sich äußert. Wichtig scheint nur, dass sich eine Möglichkeit bietet, über andere negativ herzufallen. In diesem Fall hat es „Fairtrade“ betroffen, aber auch wenn ein Pfarrer sich daneben benimmt, ist die ganze Kirche blöd, wenn in einem Krankenhaus ein Behandlungsfehler passiert, ist die ganze Klinik schlecht, wenn das kommunale Parlament eine Entscheidung trifft, die mir nicht gefällt, ist die Bürgermeisterin schlecht. Sie kennen sicher noch viele weitere Beispiele.
Ich habe den Eindruck, dass wir dazu neigen, Dinge zu vereinfachen, damit wir leichter damit umgehen können, aber ich merke, dass es heutzutage schon fast zum guten Ton gehört, über andere herzufallen, wenn sich auch nur die Spur eines Fehlers zeigt.
Und dazu eignen sich ganz besonders Schlagzeilen im Internet. Bei einem Leserbrief in der Zeitung müsste die Kritik schon etwas fundierter sein. Aber im Internet kann man folgenlos mal richtig draufhauen – andere öffentlich beschimpfen und für dumm erklären, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen. Ich befürchte, dass das unseren Umgangston schon beeinflusst hat. Da wird schon mal draufgehauen, wenn sich keiner wehren kann. Es bleibt ja folgenlos. Ich kann mit ein paar Worten vom Computer aus in einer Überschrift oder mit einem Kommentar aus sicherer Entfernung losschlagen. Man kann also mit einer Überschrift Politik machen oder eine ganze Branche in Verruf bringen, wenn die Worte nur plakativ genug gewählt sind.
Das ist nicht nur ein rauer Umgangston, sondern dahinter steckt auch ein rauer Geist, dessen sollten wir uns bewusst sein. So werden mit Worten Mauern geschaffen, die wir nicht brauchen können, wenn wir friedlich zusammenleben wollen. Dieser raue Geist widerspricht dem Geist, den wir Christen an Pfingsten erwarten. An Pfingsten soll deutlich werden, wie wichtig es ist, dass unsere Worte Mauern und Grenzen überwinden. An diesem Fest können sich Menschen verstehen auch wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedlicher Meinung sind – das ist der heilige Geist. Lassen Sie sich anstecken und feiern Sie in diesem Geist das Pfingstfest – verdrängen Sie den rauen Geist, der an vielen Stellen hervortritt. Es wird uns allen gut tun.
Ich wünsche Ihnen gesegnete Pfingsten
Ihr Klaus Gottschlich
In Würde sterben
Karfreitag, das Fest der Hingabe Jesu bis in den Tod, und Ostern, das Fest der Auferweckung, haben wir gerade gefeiert. Der Karfreitag verblasst in seiner Bedeutung oft. Dabei sind beide Feste auf einander bezogen, es gäbe das eine ohne das andere nicht. Beide Feste gemeinsam sagen uns: Das Leid, Sterben und Tod sind unsere reale Wirklichkeit. Aber Gott ist größer, stärker. Er hat die Kraft auch aus Bösem Gutes, aus Unheil Heil, aus Leid Jubel und aus dem Sterben und dem Tod neues Leben zu schaffen. – Das dürfen Christinnen und Christen glauben.
Und doch fällt es den allermeisten Menschen – ob Christ oder nicht Christin – schwer, mit dem Tod, vor allem mit dem Sterben umzugehen. Nicht wenige Menschen sagen mir: „Nein, ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber vor dem Sterben!“
In den letzten Monaten ist die Debatte um die aktive Sterbehilfe wieder einmal in der Öffentlichkeit aufgekommen. Die Argumentation der Befürworter lautet:
Wir haben als Menschen ein Recht darauf, „in Würde“ zu sterben. Falls wir in die Situation kommen sollten, - meist aus gesundheitlichen Gründen – einem für uns unerträglichen Tod entgegen zu sehen, dann sollten wir deshalb nicht nur die Entscheidung treffen dürfen, (vorher) selbstbestimmt in den Tod zu gehen. Wir sollten auch das Recht auf aktive Unterstützung dazu haben! Hans Küng, der als prominenter Theologe die aktive Sterbehilfe befürwortet, bezieht sich auf die Verantwortung, die ich als Mensch von Gott bekommen habe, eine Verantwortung, die bis hin zur Gestaltung des Sterbens reiche. Der Mensch habe nicht nur ein Recht darauf zu sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf humanes Weiterleben. Er muss auch – so Küng – ein Recht darauf haben, dass ein anderer ihm beim Sterben hilft, wenn es nötig wird.
In Würde sterben – darum bemüht sich auch die Hospizbewegung und die Palliativmedizin. Aber in der Form, dass sie nicht aktiv den Tod herbeiführt, sondern möglichst erträglich und mit allem Respekt das Sterben, die letzten Schritte des Lebens geschehen lässt. Das Sterben ist vielleicht die größte Herausforderung für uns Menschen – besonders für uns Menschen in der heutigen Zeit. Denn es ist ein Prozess des Loslassens, des letzten großen Loslassens, wie es kein größeres gibt. Es ist ein Geschehen, in dem wir unsere Ohnmacht erfahren wie sonst wohl kaum im Leben. Genau diese Ohn-Macht ist für Menschen des Machens (und der Macht) schwer erträglich. Dieses Angewiesen-Sein – im Krankheitsfall zunächst auf meine Mitmenschen – ist, so unerträglich es für viele Menschen sein mag, jedoch ein Teil meines Seins mit einem ganz eigenen Wert. Gelingt es mir, dieses Angewiesen-Sein auch im Prozess des Sterbens zu bejahen, kann daraus eine Tiefe von Beziehung und eine Erfahrung von Liebe in ungeahnter Dimension erwachsen. Dieser Erfahrung beraube ich mich, wenn ich selbst das Zepter in der Hand behalten und das Sterben nicht zulassen, sondern steuern, bestimmen oder gar vermeiden will.
Und: was mute ich dem anderen, was mute ich der Gesellschaft zu, wenn ich ein Recht darauf einfordere, dass mich jemand tötet, wenn ich es will? In welche Konflikte treibe ich damit den Einzelnen, der mich töten, und damit entscheiden muss, ob dieses Anliegen in diesem Moment wirklich angemessen ist? In welche Nöte zwischen Liebe und Todesstoß zwingt eine Mutter ihre Tochter, von der sie verlangt, von ihr getötet zu werden, wenn die Tochter nicht durch klare Regeln geschützt ist? In welche Rechtsunsicherheiten bringe ich die Gesellschaft, wenn unter Umständen ein Richter entscheiden muss, ob der Stoß im Rollstuhl vom Dach vom Toten gewollt war oder nicht? Wer definiert, was „Würde“ im Sterben ist? Ist vor Gott nicht jeder Mensch, egal in welcher Situation, würdig? –
Jesus bejahte sein Sterben – was nicht heißt, dass er nicht Angst gehabt und gelitten hätte. Und von menschlicher Seite wurde alles versucht, ihm die Würde abzuschneiden. Aber er nahm sein Kreuz auf sich und gerade deshalb, weil er sagte: „Nicht mein Wille, Vater, sondern Dein Wille geschehe!“ hat er in seiner völligen Hingabe an Gott im Sterben Unglaubliches zu tragen vermocht.
Auch wenn ich und Sie und wir alle nicht Jesus sind – er zeigt uns doch, dass wir darum beten dürfen, wenn es so weit ist, den Mut zu haben, das Sterben, so wie es ist und kommt, zu zulassen und geschehen zu lassen. Gott, der stärker ist als der Tod, verlässt uns auch im Sterben nicht. Und Sterben, so lehren uns die Sterbenden, kreist um etwas unfassbar Großes, Wesentliches.
Eine lebensfrohe Nach-Osterzeit
wünscht Ihnen Ihr
Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim
Selber denken!
Im Mittelalter konnten die meisten Menschen weder lesen noch schreiben. Gottesdienste wurden in lateinischer Sprache gehalten – das „Volk“ musste und sollte nichts verstehen.
Kompletter Text als Download... (6,29 KB)
Trauer für Geld?
Woran denken wir Menschen, wenn wir an unsere eigene Bestattung denken?
Aus meiner bisherigen Erfahrung gibt es darauf keine klare Antwort. Doch deutlich wird, dass sich viele Menschen Gedanken darum machen, wer das Grab denn später einmal pflegen soll. Besonders diejenigen, die viele Jahre jeden Tag an ein Grab gegangen sind, um es zu pflegen, sagen im Nachhinein, dass die Grabpflege auch zu einer Belastung werden kann, wenn man nicht mehr so beweglich ist. Sie entscheiden sich dann eher für ein Urnengrab, eine Urnennische oder in Bischofsheim für eine „Baumbestattung“.
Dann haben die Angehörigen damit weniger Arbeit. Und damit man niemandem zur Last wird mit der Bestattung, haben viele Menschen auch vorgesorgt, damit finanziell durch den Tod keine Schwierigkeiten entstehen. So weit so gut, das ist alles verständlich.
Es gibt Menschen, die überlegen sich, mit welchem Kirchenlied sie verabschiedet werden wollen oder welcher Bibeltext ihnen besonders am Herzen liegt. Ich persönlich habe es allerdings noch nicht erlebt, dass jemand sich Gedanken darüber macht, wer bei der Beerdigung aus welchem Grund Tränen vergießen wird.
Auf den Gedanken, dass Angehörige bei der Trauerfeier nicht um die Verstorbenen weinen könnten, hat mich erst die Werbung einer Versicherung gebracht, die ich ziemlich geschmacklos finde.
„Unsere Lieben sollen um uns weinen. Und nicht um ihr Geld.“ So heißt es in der Werbung für eine Sterbegeld-Vorsorge. Die Versicherung erhofft sich davon wohl ein gutes Geschäft mit denjenigen, die ihren „Lieben“ finanziell nicht zur Last fallen wollen.
Der Werbespruch stellt die Trauer um einen verstorbenen Menschen neben die Kosten für eine Bestattung – so als würde das eine das andere automatisch verdrängen können. So als würden die „Lieben“ dann nur um ihr Geld weinen, wenn es keine Versicherung gibt, vielleicht sogar so, als könne das Geld, das ich zu Lebzeiten falsch angelegt habe, dazu führen, dass die Angehörigen nicht um mich, sondern nur um ihr Geld trauern würden.
Für mich – ehrlich gesagt – ein absurder Gedanke. Trauer lässt sich nicht über Geld regeln! Die Schmerzen, die durch den Verlust eines Menschen entstehen, hängen nicht daran, ob er eine Versicherung für seinen Todesfall abgeschlossen hat. Und für die Art zu trauern gilt das ebenso.
Ja, es dreht sich sehr viel ums Geld in unserem Leben und dass eine Bestattung Geld kostet, ist auch in Ordnung, weil Menschen dort eine für uns wichtige Arbeit tun.
In diesen kurzen zwei Sätzen werden aber besonders ältere Menschen unter Druck gesetzt. Sie wollen doch, dass um Sie getrauert wird oder? Hier werden die Bedenken, für andere zur Last werden zu können genutzt und noch ein wenig gesteigert, um ein Geschäft zu machen.
Ja, auch das ist üblich – nur muss es an dieser Stelle jetzt auch noch sein? Soll jemand, der sich diese Versicherung nicht leisten kann, jetzt auch noch mit einem schlechten Gewissen sterben?
Wird mir bei meinem Tod dann die Liebe meiner Angehörigen entzogen? Diese Werbung hinterlässt mehr als nur einen bitteren Beigeschmack.
Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich halte viele Regelungen um Tod und Sterben für wichtig. Und wer über die Bezahlung seiner Beerdigung nachdenkt, macht sicher keinen Fehler.
Nur halte ich Tod und Sterben für ein so empfindliches Thema, dass damit empfindsam umgegangen werden sollte. Gerade hier sollte der Respekt vor den Gefühlen der Menschen eine besondere Rolle spielen und nicht das Geld in den Vordergrund geschoben werden.
Für mich stehen auf dem Friedhof die Trauernden und die Verstorbenen im Vordergrund – für mich ist es unbedeutend, wer aus welchem Grund weint und wer nicht. Es geht in diesem Moment nicht ums Geld, es geht um würdevolle Begleitung. Von einem Werbespruch möchte ich mich in einem solchen Augenblick überhaupt nicht unter Druck setzen lassen! Ich möchte mir in Ruhe meine Gedanken dazu machen – wenn es um meine Lieben und mich selbst geht.
Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen!
Herzliche Grüße
Klaus Gottschlich
Weil sie es sich leisten können
Abhöraffäre ohne Ende – westliche Geheimdienste haben nicht nur ganz normale Handynutzer, sondern sogar die Kanzlerin und wahrscheinlich auch andere Entscheidungsträger abgehört. Moralische Entrüstung auf der einen Seite (als hätten Geheimdienste jemals etwas mit Moral zu tun gehabt) und Rechtfertigungsversuche auf der Anderen (Terrorabwehr – will heißen: Wir wollen alles unter Kontrolle haben, was die Machtposition unseres Landes in Gegenwart und Zukunft bedrohen könnte, also auch wirtschaftsstarke und einflussreiche Nationen) Die Antwort auf die Frage nach dem »Warum« ist deshalb ganz einfach: Weil sie es sich in jeder Beziehung leisten können!
Das gilt doch auch sonst: Die Vorstände der Dax-30-Konzerne haben 2011 im Durchschnitt 53-mal so viel verdient, wie »normale« Arbeitnehmer/innen – veröffentlichte vergangene Woche die Hans-Böckler-Stiftung - in einzelnen Konzernen sogar mehr als das 100-fache. Auch da lautet die Antwort auf die Frage nach dem »Warum« lapidar: Weil sie es sich leisten können!
Aus dem gleichen Grund kann Saudi-Arabien Panzer und anderes Kriegsgerät, aber auch Firmen in Deutschland »einkaufen«, kann Herr Assad weiterhin die eigene Bevölkerung bombardieren (und dabei mit der Vernichtung seiner Chemiewaffen noch sein Image aufbessern), kann China halb Afrika als Rohstoff- und Ressourcenreserve aufkaufen, können internationale Konzerne und Großgrundbesitzer in Lateinamerika mit Geld und juristischen Tricks den indigenen Völkern ihr Land abpressen, kann Apple in China unter schlimmsten Bedingungen produzieren, oder der FC Bayern jedes hoffnungsvolle Talent der Liga für seine im größer werdende Reservebank einkaufen – weil sie alle es sich leisten können und dadurch Machtpositionen jetzt und in Zukunft gesichert bleiben. (Und natürlich die ließe sich Liste beliebig verlängern.)
Und damit das – zumindest hierzulande – auch so bleibt, müssen sich Otto und Else-Normalverbraucher wenigstens ein bisschen was leisten können. Deshalb gibt es Rabattschlachten und Schnäppchenjagden, »Vorteilskäufe« und »Dauerniedrigpreise«, Gewinnspiele und Punkte-Karten.
Aber jede Fahnenstange hat bekanntlich zwei Enden und am unteren Ende gibt es immer irgendjemand, der sich nichts mehr leisten kann: Weil er im Niedriglohnsektor von seiner Arbeit nicht mehr leben kann, weil der Druck auf die Erzeugerpreise weltweit die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe kaputt macht und nicht nur in Bangla Desh zu Arbeitsbedingungen führt, die im wahrsten Sinne mörderisch sind. Weil der Reichtum Einzelner mit der Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen erkauft wird, weil natürlich Ressourcen und damit die Lebensgrundlagen von Menschen durch Umweltzerstörung, Klimawandel oder eben Landraub zunichte gemacht werden. (Auch diese Liste ließe sich beliebig verlängern.)
»Fair« geht anders und das Gegenteil von fair ist in dieser Welt nicht das schon verniedlichende »unfair«, sondern »gnadenlos«.
»Schafft Recht dem Armen und der Waise und helft dem Elenden und Bedürftigen zum Recht. Errettet den Geringen und Armen und erlöst ihn aus der Gewalt der Gottlosen. Sie lassen sich nichts sagen und sehen nichts ein, sie tappen dahin im Finstern. Darum wanken alle Grundfesten der Erde.« - heißt es (durchaus passend) im Psalm 82.
Der Text ist einer von zwei biblischen Stellen, die den Hintergrund für die diesjährige Ökumenische Friedensdekade bilden. Sie steht in diesem Jahr nicht ohne Grund unter dem Motto »solidarisch?« und zeigt im Logo eine abwehrende Hand – Hinweis darauf, dass weltweit die größten »Sauereien« schlicht deshalb passieren, weil sie zugelassen werden, weil niemand eingreift. Frieden fordert Gerechtigkeit, Gerechtigkeit aber kann nur dort wachsen, wo Menschen einander wahrnehmen und Leben teilen. Denn Frieden und Gerechtigkeit können wir uns nur gemeinsam leisten – wenn wir es uns denn leisten wollen.
Pfr. Klaus Bastian, Bischofsheim
Würdevolle Bestattung mittelloser Menschen
Würdelos
Als der römische Prokurator Pontius Pilatus an jenem denkwürdigen Freitag vor den Toren Jerusalems Jesus von Nazareth und zwei weitere Gefangene kreuzigen ließ, da sollte mit dieser grausamen Hinrichtung ganz bewusst Würdelosigkeit inszeniert und demonstriert werden. Wer immer glaubte, er habe seine Würde aus sich selbst, oder durch seinen Glauben, dem sollte unmissverständlich klar gemacht werden, dass die römische Besatzungsmacht nur eine Form der Würde kannte, die Gnade der kaiserlichen Autorität, gegründet auf der militärischen Macht und Überlegenheit. Und so wurde mit der Kreuzigung ein Exempel statuiert an einem Menschen, der Würde bis zuletzt als Geschenk Gottes an jeden Menschen empfand und verkündigte.
Doch der Versuch, auch dieser Botschaft mit dem würdelosen Tod ihres Verkünders ein Ende zu machen, scheiterte kläglich. Mag sie in den Jahrhunderten danach und auch heute immer wieder verdeckt, diskreditiert und verdunkelt werden - durchaus auch vom sogenannten christlichen Abendland – totzukriegen ist sie trotzdem nicht.
Als die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedete, da formulierte sie gleich im ersten Paragraphen: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Und in Artikel 5 heißt es: »Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.«
Der Parlamentarische Rat, der ein knappes halbes Jahr später das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschloss, übernahm dieses Ansinnen direkt.
So heißt es auch da in Paragraph 1: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«
Nicht nur Hinrichtungsmethoden wie im Römischen Reich sind deshalb hierzulande ausgeschlossen, die Todesstrafe wurde in der Bundesrepublik generell abgeschafft.
Die Diskussion um einen würdevollen Tod hat und konnte dies nicht beenden, ganz im Gegenteil: Je mehr die Medizin in der Lage war und ist, den Tod hinaus zu zögern, umso stärker wird die öffentliche Diskussion um den würdevollen Tod – geleitet von der Erkenntnis, dass der beste und humanste medizinische Wille nicht verhindern kann, dass er in sein Gegenteil verkehrt wird. Denn an jeder ärztlichen Entscheidung hängen – bewusst oder unbewusst - nicht nur ethische Kriterien, sondern auch juristische und versicherungstechnische Aspekte. Und je mehr in unserer Gesellschaft medizinische Betreuung und Pflege unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verhandelt wird, desto weniger kann sich die ärztliche Entscheidungsfindung auch von finanziellen Kriterien frei machen. Das Schlagwort von der »Geräte-Medizin« ist längst zum allgegenwärtigen Stigma geworden, der immer mehr Menschen versuchen mit einer Patientenverfügung entgegenzuwirken, um damit ein würdevolles Sterben sicher zu stellen.
Weit weniger im Fokus der öffentlichen Diskussion ist die Frage nach der Menschenwürde jenseits des Todes. Von der Totenwürde spricht weder die Deklaration der Menschenrechte, noch das Grundgesetz. Nur im hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetz heißt es in Paragraph 9: »Leichen sind so zu behandeln, einzusargen, zu befördern und zu bestatten, dass … die Würde der Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt werden und die Totenruhe nicht mehr als unumgänglich gestört wird.«
Die Realität sieht leider immer öfter anders aus: Die demographische Entwicklung hierzulande sorgt nicht nur dafür, dass es immer mehr alte Menschen ohne weitere Angehörige gibt, sondern auch, dass deren Ersparnisse und Vermögenswerte durch eine langjährige Pflege vollkommen aufgebraucht sind. Gleichzeitig steigen an allen Orten die Bestattungskosten – eine Schere, die zu schließen immer weniger Menschen in der Lage sind. Zwar ist gesetzlich geregelt, dass die Sozialbehörden in solchen Fällen für eine ortsübliche Bestattung aufzukommen haben, aber angesichts leerer öffentlicher Kassen ist die Versuchung groß, die sterblichen Überreste so schnell und kosten-günstig wie irgend möglich unter die Erde zu bringen – und das heißt immer wieder auch ohne Trauerfeier.
Die Zwei-, bzw. Drei-Klassen-Beerdigung ist längst Realität. Wer es sich immer noch leisten kann, dem steht die Erdbestattung offen, die große Mehrheit steuert gleich auf eine Urnenbestattung in einem Erdgrab oder der Urnenwand zu. Und für den Rest bleibt das Armengrab. Aus Frankfurt berichten Bestatter vom sogenannten »Thüringen Express«: Mit einem LKW werden einmal pro Woche all jene Verstorbenen ins Nachbar-bundesland verfrachtet und dort bestattet, die sich eine Beisetzung in der Mainmetropole nicht mehr leisten können.
»Leichen sind so … zu bestatten, dass … die Würde der Verstorbenen … nicht verletzt … wird.«???
Papier ist bekanntlich geduldig, Verstorbene sind es notgedrungen auch. Und mittellose Angehörige müssen deshalb nicht nur unter dem Verlust des Menschen, sondern auch seiner und ihrer Würde leiden.
Wie anders ging es da doch an jenem Freitag in Jerusalem zu: Da holte ein Ratsmitglied den so würdelos Verstorbenen noch am selben Tag vom Kreuz, um ihn wenigstens würdevoll in der eigenen Familiengrabstätte zu bestatten. Das Beispiel hat leider wenig Schule gemacht.
Pfr. Klaus Bastian, Bischofsheim